Ein SPD Unterschlupf in Bremen Neustadt? Funde aus dem 2. Weltkrieg – Paul Frey
Rochen im Horst – Hans Christian Küchelmann
Am 18.05.1940 ab 00:36 warfen englische Flugzeuge völlig überraschend für die Bevölkerung Bomben über Bremen ab. Es sollte der erste von vielen weiteren Luftangriffen der Alliierten über Deutschland und der Stadt Bremen sein. Insgesamt fanden 173 Luftangriffe in Bremen statt, die 3852 Menschen das Leben kostete und bis zum Kriegsende rund zwei Drittel der Stadt zerstörten. Auch der Stadtteil Neustadt war betroffen. Dort fanden im Jahr 2015 aufgrund eines bevorstehenden Parkplatzbaus Grabungen durch die Bremer Landesarchäologie statt.
Alte Karten zeigen, dass die dort bombardierten Häuser noch nicht besonders alt waren. Mitte des 19. Jahrhunderts war dieses Gebiet noch in fester Hand der Natur. Die an dieser Stelle ursprünglichen Häuser wurden zwischen 1861 und dem frühen 20. Jahrhundert gebaut. Dies belegen mehrere historische Karten. Im Zuge der Ausgrabung in der Nähe des Bahnhofs direkt neben der Straße Friesenwerder (Abb. 1) wurden Mauerreste aufgedeckt, ein Teil der früheren Bebauung eines dreieckigen Häuserblocks. Keinen Meter unter der Straßenkante befanden sich die Mauern eines Kellers, der teilweise heute noch unter dem Friesenwerder liegt (Abb. 2).
Im Anschluss konnten hier, in einer Zimmerecke einige Funde gemacht werden (Abb. 3). Eine Marmorplatte und zwei Tischbeine lassen (Abb. 3.5) darauf schließen, dass sich in einer Kellerecke ein Schreibtisch befunden hat. Unter diesem stand vermutlich ein weißer Nachttopf (Abb. 3.6), wie sich aus Scherben erschließen ließ, die man zusammensetzen konnte. Auch eine Geldkassette (Abb. 3.3) konnte freigelegt werden, dessen möglicher Inhalt allerdings ein Rätsel blieb. Münzen konnten nicht gefunden werden, aber es ist durchaus denkbar, dass dies als ein Aufbewahrungsort für wichtige Papiere diente, welche allerdings, falls es sie gegeben haben sollte, nicht erhalten waren. Zudem konnte der Kopf einer Tonpfeife (Abb. 3.4) entdeckt werden, wodurch klar wird, dass es sich bei dem Bewohner dieses Hauses vermutlich um einen Raucher gehandelt hat. Auch wenige Reste eines Buches (Abb. 3.2) wurden entdeckt. Eine Erhaltung war aufgrund der verheerenden Spuren von Feuer nicht mehr möglich, aber dennoch konnte durch das Erkennen einzelner Wörter noch eine Bestimmung der Literatur stattfinden. Es handelte sich dabei um ein Magazin des Unternehmens Westermann. Diese Monatshefte richteten sich an das normale Bürgertum, wobei Kunst, Kultur, Naturwissenschaft, Geographie sowie das Leben im allgemeinen eine Rolle spielten.
Der wahrscheinlich interessanteste und informativste Fund war allerdings noch ein anderer. Innerhalb der Kellermauern, gepaart mit den übrigen Fundstücken, ließ sich eine grüne Plakette (Abb. 3.1, ) entdecken. Auf ihr steht „A. BEBEL“ und es ist das Porträt eines Mannes im Anzug, umgeben von Pflanzenkränzen zu sehen. Dieser Mann ist August Bebel, der zwischen 1840 und 1913 lebte und ein sozialistischer deutscher Politiker war. August Bebel war einer der Begründer der deutschen Sozialdemokratie und war an der Vereinigung der heutigen SPD beteiligt. Es ist also zu vermuten, dass der Bewohner des bombardierten Hauses ein Anhänger oder sogar eventuell ein Parteimitglied der SPD war. Somit war die Plakette eine Art Symbol für Unterstützung und Verehrung der SPD und für August Bebel. Da die SPD den Nazis feindselig gegenüberstand, kann es sein, dass der Keller ein Unterschlupf und eine Art Rückzugsort für seinen Bewohner war, um politischer Verfolgung und einer möglichen Deportation aus dem Weg zu gehen, wie sie vielen Nazi-kritischen Stimmen drohte. Die SPD war damals die einzige Partei, welche im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetzt gestimmt hatte und in dessen Folge sie auch verboten wurde. Daraufhin mussten SPD Politiker und Anhänger mit Verfolgung, Haft, Deportation und Mord rechnen, da die Nazis keinerlei kritische Stimmen zulassen wollten. Gerade deswegen versteckten sich viele dieser Menschen und der Fundort im Keller macht aufgrund dieser Tatsache durchaus Sinn. Es wirkt so, als ob der Bewohner seinen eigenen kleinen Lebensraum in einem kleinen Kellerzimmer geschaffen hat.
Trotz dieser Maßnahmen musste der Bewohner vielleicht sein Leben lassen, wenn er sich während der Bombardierung in seinem Haus aufgehalten haben sollte. Eine genaue Personenzuordnung erfolgte bisher noch nicht, allerdings wäre dies mithilfe von Adressbüchern, historischen Karten und eventuell einem SPD Parteibuch der damaligen Zeit durchaus möglich
Bei einer Feldbegehung der Fundstelle Hoher Horst in Kirchhuchting (Fundstelle 4-8/Kirchhuchting) im Jahr 2014 fiel dem Kollegen Vitali Friesen ein kleines, aber ungewöhnlich geformtes Fundstück auf, das er aufgrund der „Durchbohrung“ zunächst für eine Perle hielt (Abb. 1). Bei der Durchsicht und Inventarisierung von Altfunden gelangte dieses Objekt nun wieder auf seinen Tisch. Da ihm eine tierische Herkunft möglich schien, bat er mich einen Blick darauf zu werfen und bewahrte diese kleine Überraschung damit davor unbeachtet im Magazin zu verschwinden.
Bei dem Fund handelt es sich um ein Fragment eines Hautzahns eines Rochens, genauer gesagt um einen Hautzahn von der Unterseite eines Nagelrochens (Raja clavata), einen sogenannten „buckler". Der Zahn selbst ist an seiner Basis abgebrochen. Die Öffnung an der im Körperinneren gelegenen Rückseite weist keine Spuren von Bearbeitung auf und ist natürlichen Ursprungs.
Der Nagelrochen ist ein reiner Meeresfisch und lebt in Bodennähe in Küstengewässern mit schlammigem, sandigem oder kiesigem Grund in Tiefen von 10-60 m (maximale dokumentierte Tiefe 620 m). Er toleriert niedrige Salinität und hält sich vor Allem im Frühjahr auch in flachem Wasser unter 10 m Tiefe auf. Der Nagelrochen wird in der Regel um die 85 cm groß, die maximale dokumentierte Totallänge liegt bei 139 cm. Er kommt an allen Küsten Europas und Westafrikas vor, ist aber im Bereich der deutschen Nordseeküste eher selten (FishBase; Heessen et al. 2015, 113-116).
Ein Hautzahn eines Nagelrochens ist also für eine über 60 km Luftlinie von der Küste entfernt gelegene Fundstelle ein ausgesprochen ungewöhnliches Fundobjekt. Leider erlaubt dieser Oberflächenfund keine Datierung. Die Frage wann, wie und warum dieser Hautzahn auf den Hohen Horst gelangt ist, muss damit leider ungeklärt bleiben.
Literatur:
Gravendeel, Ronald / van Neer, Wim / Brinkhuizen, Dick Constantijne (2002): An Identification Key for Dermal Denticles of Rajidae from the North Sea. – International Journal of Osteoarchaeology 12, 420-441
Heessen, Henk J. L. / Daan, Niels / Ellis, Jim R. (2015): Fish atlas of the Celtic Sea, North Sea, and Baltic Sea, Wageningen